Wer hat den Längsten?

Christian Leu hat vor rund zwei Jahren eine witzige Idee gehabt (ok, er hatte natürlich auch davor und danach einige gute Ideen): Ein Schwanzvergleich verschiedener Nachrichtenseiten. Daraus habe ich – natürlich mit freundlicher Genehmigung von Leumund – seine Grafik leicht abgewandelt und nach Themen eingefärbt. Wieso ich diese alte Geschichte wieder ausgrabe? Nun ja: Wir haben da einen neuen Gewinner. Und der heisst Watson. Ob es damit zu tun hat, dass so viele ehemalige 20-Minuten-Mitarbeiter dort arbeiten?

Und ja: Dieses Mal will ich wirklich noch alle einzelnen Elemente neu anordnen, damit man die einzelnen Kategorien besser vergleichen kann. Und diese Grafiken sind natürlich nur Momentaufnahmen. Mir wurde damals zum Beispiel bestätigt, dass sich die Seite von  20 Minuten je nach Aktualität und Themen verlängert oder verkürzt. Ich vermute nun mal, dass dies bei Watson auch der Fall sein wird. Und auch die Themenschwerpunkte werden sich sicher ändern.

Fliessende Stories

Ich nenne sie mal „fliessende Stories“. Wohl jeder, der sich im Internet bewegt, kennt sie. Einem breiten Publikum bekannt geworden ist die journalistische Form durch die „Snowfall“-Geschichte in der New York Times. Dabei war das natürlich nicht die erste Geschichte dieser Art. Leider wird bei solchen Stories nur äusserst selten das Publikationsdatum angegeben, deshalb ist eine chronologische Auflistung kaum möglich.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob das wirklich die Zukunft des Journalismus sein soll. Keine Frage: Es schaut hübsch aus. Aber ganz ehrlich: Wie viele dieser Geschichten werden wirklich gelesen? Und werden die Bildgalerien darin auch angeklickt? Die Videos geschaut? Die Audiofiles angehört? Ich glaube, dass die meisten Leser hier nur durchscrollen und die lustigen Effekte anschauen. Die journalistische Leistung wird von der Programmier-Leistung in den Hintergrund gedrängt. Das darf doch eigentlich nicht sein. Aber vielleicht täusche ich mich auch und ich muss mich nur mein Leseverhalten ändern. Vor einigen Jahren war es ja auch fast schon undenkbar, einen längeren Text online zu lesen.

Egal. Hier eine Auswahl von „fliessenden Stories“. Wer noch mehr kennt, darf gerne in den Kommentaren darauf hinweisen!

Update: Dieser Post wird laufend aktualisiert.

New York Times:
Snowfall (und hier noch Hintergrundinformationen zur Entstehung von Snowfall)
Reshaping New York
Tomato Can Blues
A Moment From the Boston Marathon
Ski Jumping (Sochi 2014 Extra)
Slopestyle (Sochi 2014 Extra)
Luge (Sochi 2014 Extra)
Halfpipe (Sochi 2014 Extra)
Giant Slalom (Sochi 2014 Extra)

NZZ:
Fukushima
Iouri Podlatchikov: Du fliegst nur einmal

White House:
Preventing Gun Violence

D Group:
Firmenportrait

Pitchfork (die machen übrigens praktisch jede Cover Story so):
Bat for Lashes
Ariel Pink
Cat Power
Daft Punk

Jess & Russ:
Hochzeitseinladung

Washington Post:
Joe Dombrowski

Dangers of Fracking:
PR

Ice Fail:
Snowfall-Parodie

Google:
How Search Works

The Verge:
Body Hackers

GQ:
Pirates in Somalia
Tom Jones

Guardian:
US Elections (Zur Entstehung von US Elections)
Firestorm (Zur Entstehung von Firestorm)
Alaska on the Edge
NSA files decoded
Our Walled World

ESPN:
Dock Ellis

Die Zeit:
Tour de France
Karl-Marx-Allee: Das neue Leben der Stalinallee

NPR:
Unfit for Work

UN:
Too Young To Wed

Commercial Appeal:
Martin Luther King, Jr. (zur Entstehung von Martin Luther King, Jr.)

Rolling Stone:
The Geeks On The Frontlines

The Daily Beast:
Why You’re Addicted to TV

Schweizer Fernsehen:
Langstrasse

Vorarlberg Online (vol.at):
Armut in Vorarlberg

Tages Anzeiger:
Leon de Winter: „Es gibt mehr Kriminalität“Corine Mauch: „Der Platz hat mich fast umgehauen“
Simon Ammann: „Von Skispringern kann man viel lernen“

Rhein-Zeitung:
Arabellion: Arabischer Frühling – Was vom Frühling bleibt

Stille Nacht:
Stille Nacht

France Inter:
Le Jeu des 1000 Histoires

Hollow:
Hollow – An Interactive Documentary

NFL:
Super Bowl City

Spiegel Online:
Die Strasse nach Sotschi: Eine olympische Winterreise

Autorisieren lassen oder nicht?

Jimmy Carter Library, Atlanta, GA/The U.S. National Archives

Erst kürzlich nervte sich mal wieder ein Journalist öffentlich über die Autorisierungs-Praxis von Pressestellen. Michael Hug, Chefredaktor der „Berner Zeitung“, schrieb auf persoenlich.com, wie die Kommunikationsabteilung der Post Fragen/Antworten strich, weil das Interview nur drei bis fünf Fragen enthalten dürfe. Grund war ein abgemachtes Exklusiv-Interview mit einem anderen Blatt.
Ein anderes Beispiel: Nach einer Medienkonferenz verweigert eine Person Interviews, weil sie ein solches exklusiv einer Zeitung versprochen hat.
Jeder Journalist kennt zudem das Gefühl, wenn man ein Interview nach der Autorisierung komplett verändert zurück bekommt. Meist gibt es dann ausufernde Antworten, die so nie jemand lesen würde, vermischt mit unverständlichen Fachausdrücken, die nur in der Branche des Interviewten verwendet werden.
Jetzt kann man sich darüber streiten, ob Autorisierungen ein Segen oder ein Fluch sind. Die New York Times hat diese Praxis gleich ganz abgeschafft und andere US-Medien sind diesem Beispiel gefolgt. Zumindest beim Spiegel findet man das Autorisieren lassen nicht so schlimm.
Immer wenn solche Geschichten, wie jene aktuell der Post/Berner Zeitung, auftauchen, werden wieder Stimmen laut, die zu einem Umdenken auffordern. Meiner Meinung nach ist das nicht nötig. Ich habe nur selten schlechte Erfahrungen mit Autorisieren gemacht. Und wenn doch mal jemand völlig über das Ziel hinaus geschossen hat, habe ich die Person darauf aufmerksam gemacht, dass sie das so gesagt habe und dann gemeinsam einen Kompromiss gesucht. Schliesslich geht es auch um gegenseitigen Respekt.
Noch ein Lösungsvorschlag: Wieso gründen nicht einfach alle Zeitungen zusammen ein internes Radio. Dort gibt es nur Live-Interviews, die lediglich von den eigenen Redaktionen gehört werden. Wenn sie das Radio dann noch „Unsere Zeitung“ nennen würden, könnten die Journalisten danach in ihren Artikeln immer schreiben: „Wie xy gegenüber unserer Zeitung gesagt hat.“